Geschichte mit drei Streifen — Das adidas Archiv in Herzogenaurach

Tor, Tor, Tor, Deutschland ist Weltmeister! Jubelrufe auf den Rängen, pure Extase vor den Fernsehschirmen, Fußballprofis, die sich vor Freude in den Armen liegen. Wenige sportliche Momente sind derart emotional wie der Sieg einer Fußball-Weltmeisterschaft.

Doch die Jubelrufe verstummen irgendwann, das Stadion ist wieder leer. Was bleibt, sind die Objekte des Endspiels, der Ball, die Sportschuhe, die Trikots.

Die Aura dieser Objekte haben Sportartikelhersteller wie Adidas verstanden und machen sich daher auch ihren emotional-historischen Wert zunutze. “History Management” nennt sich die Abteilung der Adidas-Firmenzentrale in Herzogenaurach, in der man mit Sportgeschichte und ihrem Wert umgeht. Mit Hilfe der Sportobjekte werden historische Narrationen gestaltet. Doch wie genau und mit welchen Mitteln lässt sich Geschichte in einem ökonomischen Kontext erzählen?

Um eine Antwort auf diese Fragen zu bekommen, machte sich das Instituts-Team auf den Weg nach Herzogenaurach, um sich mit dem History Communication Manager von Adidas, Dr. Martin Gebhardt, zu treffen. Martin war bereits im Januar Referent der IdL-Tagung, ‘Geschichte und digitale Medien’ und hatte dabei das Webprojekt, “adidas archive” vorgestellt. Hier findet sich der Mitschnitt seines Vortrags. 

Ziel des History Managements bei Adidas ist es, die Geschichte des Unternehmens zu erforschen, zu bewahren, auszustellen und damit für Interessierte erfahrbar zu machen. Geschichte fungiert hierbei immer auch als (indirektes) Entwicklungs- und Marketinginstrument. Das History Management bei Adidas betreibt neben dem erwähnten Webprojekt “adidas archive” ein Firmenarchiv und eine unternehmensinterne Ausstellung, die sich an Mitarbeiter, Geschäftspartner und Athleten richtet. Das Team des History Managements besteht aus Historikern, Museologen, Archivaren sowie Marketingexperten.

1. Die Ausstellung

Die Ausstellung verläuft innerhalb eines langen, tunnelartigen Aufgangs, der in drei thematische Bereiche gegliedert ist. Jeder Bereich stellt mit ausgewählten Objekten aus der Adidas-Historie eine besondere Unternehmenskompetenz dar.

Im ersten Teil der Ausstellung geht es bergauf: “The Ascent”.

Im ersten Teil der Ausstellung arbeitet Adidas insbesondere mit Objekten der Markengeschichte. Ein Beispiel einer solchen Inszenierung ist die Entwicklung des modernen Bergstiefels, der sich in den vergangenen 50 Jahren in punkto Design und Material erheblich verändert hat. Während er in den 1950er Jahren noch massig und schwer war, entwickelte er sich in den 1980er Jahren zum Leichtgewicht. Heute legt man das Hauptaugenmerk auf die Verbindung von Sicherheit und Komfort: Schuhe als Ausdruck gesellschaftlicher Bedürfnisse, individueller Ansprüche und technischer Entwicklungen.

Nach diesem Bereich der Ausstellung erreicht man eine lichtdurchflutete Fläche. Hier wird, gleichsam schwebend, die aktuelle Kollektion präsentiert: Die Gegenwart hat den Besucher wieder.

Präsentation der aktuellen Adidas Kollektionen

Bei geführten Touren durch die Ausstellung hält Adidas eine Überraschung bereit: Mit imposant eingespielter Geräuschkulisse öffnet sich langsam eine schwere Betontür, die den Eindruck eines Hochsicherheitstresors erzeugt. Dahinter befindet sich ein Raum mit gedämpftem Licht und sphärischen Klängen, der den Besucher mit nahezu sakraler Aura empfängt. Hier sind persönliche Gegenstände des Unternehmensgründers Adolf (Adi) Dassler sowie Hinterlassenschaften seiner Lebens- und Arbeitswelt ausgestellt.

“The hidden treasures”

In der Mitte des Raums steht eine hölzerne Werkbank aus der Frühzeit des Unternehmens. Umhüllt wird die Werkbank von drei schwebenden, leuchtenden Streifen. Das Ziel dieser Inszenierung besteht u.a. in der Identifizierung des Besuchers mit dem Gründungsvater des Unternehmens. Es fällt schwer, sich dieser Schatzkammer-Atmosphäre zu entziehen. Sie erzeugt Ruhe, Konzentration, auch Ehrfurcht.

Die atmosphärisch ausgeleuchtete Werkbank.

Der Weg durch den dritten Bereich der Ausstellung führt an 16 Zeitkapseln vorbei, sogenannten “Frozen Moments”. Die Kapseln werden erleuchtet, sobald der Besucher an ihnen vorübergeht. Sportliche Erfolge und wichtige Momente der wechselvollen Unternehmensgeschichte werden hier anhand eines bestimmten Objekts inszeniert, das sich mit Personen und ihrem Handeln zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinigt: der Fussball-WM-Sieg ’54, der Rekordsprung von Bob Beamon, der Augenblick in dem Stefanie Graf beste Tennisspielerin der Welt wird etc. Auf den vor den Kapseln angebrachten iPads lassen sich die Geschichten nachlesen und nachvollziehen.

16 “Frozen Moments”

In der letzten Zeitkapsel liegt ein rotes Samtkissen. Es steht symbolisch für jenen freien Platz, den der Besucher mit seiner Geschichte und seinem besonderen Moment füllen kann. Jeder soll sich hier seinen eigenen “Adidas-Moment” vorstellen. Die Uhr darunter läuft weiter (s. unten im Bild) und weist damit in die Zukunft.

Die letzte Zeitkapsel wendet sich direkt an den Besucher.

2. Das Firmen-Archiv

Seit 2012 gibt es das firmeneigene Archiv. In den klimatisierten Räumen werden bei 18°C und 50% Luftfeuchtigkeit Schuhe, Taschen, Bekleidungen und andere Objekte der Firmenhistorie eingelagert, registriert, konserviert und (bei Bedarf) restauriert.

Einblick ins Archiv: Bei 18°C und 50% Luftfeuchtigkeit sind die Objekte unter optimalen Bedingungen eingelagert.

Unter den Archivalien finden sich beispielsweise Trikots und Fussballschuhe mit Nutzungsspuren von Weltmeistern und Superstars, darunter auch die aktuellen ‘Weltmeisterschuhe’ von Thomas Müller oder Mesut Özil. Mesut Özil hatte 2014 mit seinem Paar ‘Fussballstiefel’ die komplette WM durchgespielt, an seinen Schuhen lassen sich die Spuren des Turniers noch deutlich erkennen. Viel frischer sehen hingegen die Schuhe von Thomas Müller aus. Er hatte sie nach jedem Spiel ausgetauscht.

Der Weltmeisterschuh von Thomas Müller

In den Regalen des Archivs befinden sich 16.000 Schuhe, aber auch Objekte wie Verkaufskataloge, Schuhkartons oder Schnürsenkel. Nicht nur Schuhfans kommen auf ihre Kosten, denn die Geschichten hinter den Objekten haben das Potential, alle Besucher anzusprechen. Die vielfältige Objektsammlung soll die Geschichten und Gefühle hinter einem gewonnenen Finale oder einem verschossenen Elfmeter bewahren und weitergeben.

Unterschriebenes Trikot des Triplesiegers aus dem Fußball-Jahr 2013.

Dies wird durch die Spuren an den Objekten sichtbar: Trikots zeigen die Spuren von Spielplätzen, Laufstrecken und Sprunggruben; sie sind übersät mit Autogrammen; zwischen den Stollen von Fussballschuhen finden sich die verkrusteten Gras- und Erdreste der Arenen dieser Welt.

Mesut Özils WM-Schuhe haben den Rasen Rios konserviert.

Und so ist Martin Gebhardts Wunsch an den Zeugwart der deutschen Fussball-Nationalmannschaft nur zu folgerichtig: Der Schuh sollte bei der Übergabe an das Archiv möglichst benutzt sein, also dreckig!

3. Online: Adidas Archive

Nach und nach werden die Objekte aus dem Firmenarchiv auch medial gesichert und auf der Webseite des adidas Archivs digital erfahr- und nutzbar gemacht. Inzwischen sind 3.179 Sammlungsobjekte kategorisiert und online verfügbar. Die Aufgabe des Online Archivs ist es, die Geschichten hinter den Produkten auch außerhalb der Ausstellung sichtbar zu machen.

Die Mission: “we want you to breathe the life back into our archive, which we’ve taken out of the attic and into the world.”

Zu diesem Zweck gibt es unterschiedliche Kategorien zur Erschließung der Objekte. Darunter die “Exhibitions”, in denen die Besucher der Website aufgerufen sind, ihre eigenen Favoriten aus der Sammlung zu wählen, sie zu einer ‘eigenen Sammlung’ zu kuratieren und diese in den sozialen Medien zu teilen. Bisher gibt es lediglich 209 dieser Exhibitions, eine Interaktion findet leider nur spärlich statt.

Zudem gibt es auf der Archiv-Website mehrere Videos zu entdecken, in denen die Unternehmensgeschichte dargestellt wird (“Our Stories”) und berühmte Athleten zu Wort kommen (“Our Heroes”).

Aus, aus, aus, aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!”

Geschichtsschreibung und Adidas passen zusammen. 1954 gewannen die Spieler der deutschen Mannschaft die Fußball-Weltmeisterschaft in Adidas-Schuhen mit Kunststoffstollen. Diese, von Adi Dassler ausgetüftelten Stollen haben vielleicht zum Erfolg der deutschen Nationalelf beigetragen. Inwieweit das tatsächlich so war, ist heute nebensächlich. Jeder kennt aber die Geschichte(n) des Erfolgs von ’54. Und darauf machen die Historiker von Adidas aufmerksam. Die ‘Schuhe von Bern’ lassen sich heute in einer der 16 Zeitkapseln der Ausstellung bewundern.

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