
Digitalisierung als Chance zur Unterrichtsverbesserung wahrnehmen wollen — oder nicht?
Tablets im Unterricht allein bringen keine Verbesserung der Bildung. Wer mit digitalen Techniken unterrichten will, muss Inhalt, didaktisches Konzept und Technik zusammenführen. Daran arbeiten viele Leute in diesem Land. Wer sich im OER-Bereich umsieht, wer die Entwicklung des ersten multimedialen und digitalen Schulbuchs (mBook) in Deutschland verfolgt hat, wer die Arbeit mit Lernplattformen und mehrkanaligen Kommunikationsangeboten kennt, der weiß, wie intensiv Lehrer, Didaktiker, Bildungsforscher, Techniker und auch viele Bildungspolitiker an der Zukunft von Unterricht und Schule arbeiten. Wie schön wäre es, wenn es da ein wenig Zuspruch und Optimismus gäbe. Wenigstens Fairness wäre angebracht, auch und gerade von den Leuten, die für öffentliche Debatten in diesem Land beruflich Verantwortung tragen. Was wir jedoch oftmals sehen und lesen, hat nichts mit Optimismus und Fairness zu tun, denn es gibt Probleme. Und offenbar ist es zu reizvoll, diese Probleme für den sattsam bekannten Erregungsjournalismus auszunutzen. Journalisten tun das leider immer wieder, und sie ergehen sich dann mitunter in einem simplen Kritikastertum. Im letzten Cicero etwa wurde eine angebliche “Tablet-Ekstase der Schulpolitik” an den Pranger gestellt .
Digitalisierung der Bildung als journalistisches Thema
Abgesehen davon, dass man von Ekstase nun wirklich nicht sprechen kann, angesichts einer Handvoll Modell- und Testklassen, ist die Grundhaltung solcher Beiträge einfach nicht fair. Sicher funktioniert nicht alles reibungslos, sicher gibt es auch Gefahren. Aber, so sei erlaubt zu fragen: Wo gibt es Gefahren eigentlich nicht im Leben – digital wie analog? Auch bei Journalisten ist offenbar ein fundierterer Blick auf die spezifischen Nutzungsmöglichkeiten didaktisch und fachinhaltlich geformter Medien- und Digitalangebote nötig. Dazu reicht es übrigens nicht, den Abgeklärten zu geben, weil man einen Twitter-Account hat. Digitale und medienpädagogische Angebote im Unterricht haben inzwischen eben deutlich mehr zu bieten als einfach nur die Verbindung mit dem Internet herzustellen. Und daher ist es eben auch viel zu kurz gesprungen, im Ton des gelangweilten Besserwissertums pauschale Verurteilungen vorzunehmen. Der Ton stimmt gerade bei Herrn Füller nicht. Sein Beitrag kann von Lesern, die sich nicht jeden Tag im Kreise der Blog-Gemeinde bewegen, so verstanden werden, als gehe es ihm vor allem darum, das dumpfe Unwohlsein einer alternden Gesellschaft zu bedienen, für die das Internet “Neuland” (A. Merkel) ist. Wie werden wohl technikskeptische Kollegen an den Schulen reagieren, wenn sie solche Beiträge lesen?
Und wer hat eigentlich behauptet, dass die Digitalisierung eine Erlösung ist? Bei Schopenhauer kann man lernen, wie man argumentieren muss, um andere Leute in eine bestimmte Ecke zu stellen. Herrn Füllers Beweggründe, der gegen die angebliche “Tablet-Ekstase” anschreibt und Orwellsche Szenarien an die Wand malt, sind mir nicht bekannt. Füller interpretiert jedenfalls einen Beitrag der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken zur digitalen Bildung in einer geradezu atemberaubend verdrehten Weise und unterstellt ihr dabei recht unverblümt Hybris, Karrierismus, Planlosigkeit. Doch abgesehen davon bleibt die Frage, was journalistisches Gewarne und Gemeckere in Sachen Digitalisierung mit den Herausforderungen zu tun hat, vor denen wir stehen?
Bildungsdiskurse als vergangenheitsbezogene Pseudo-Zukunft oder Vision des Neuen?
Bildung ist wie Fussball: Alle haben Ahnung, abends, auf dem Sofa sitzend, beim Bier. Alle sind Bundestrainer. Problematisch ist nur, dass sich fast alle Leute dabei zuerst immer auf die eigenen Schulerfahrungen beziehen, die nicht selten Jahrzehnte zurückliegen. Und weil Schule eben damals den Ziel- und Organisationsvorstellungen des Anstaltsstaats entsprach, wird im verklärenden Rückblick die ‘gute alte Zeit’ in die Gegenwart und Zukunft verlängert. Nach dem Motto: ‘Was damals gut war, kann heute nicht schlecht sein!’ Solche Einstellungen müssen wir mit Optimismus und Hinwendung verändern.
Wir können nämlich nicht so tun, als ließe sich die Zukunft auf der Grundlage von Fehlschlüssen und Vorurteilen gewinnen. Kann sein, dass sich manche Meinungsmacher, Verbandsvertreter und sogenannte ‘Bildungsexperten’ nicht über den typisch deutschen Kirchturmhorizont erheben können. Frau Esken und der Bundestagsausschuss Digitale Agenda aber nehmen abseits und trotz dieser Kleingeisterei nicht nur den Reformwillen Humboldts auf, bei dessen ach so neumodischen Ideen das Establishment vor 200 Jahren auch geglaubt hat, der Untergang des Abendlandes müsse bevorstehen, die Leute in diesem Ausschuss wissen außerdem, was in den modernen Nationen dieser Welt in Sachen Bildung gerade läuft.
Deutscher Stillstand und internationale Entwicklungen
Eine in weiten Teilen uninformierte, bildungsferne und mitunter schlicht absurde Debatte, wie sie hier, im Land der Realitätsverweigerer, geführt wird, löst nicht nur in den Boom-Ländern Asiens, sondern auch in vielen unserer Nachbarländer Kopfschütteln aus. Man sehe sich die milliardenschweren Digitalisierungsprogramme in Südkorea oder der Türkei an. Man sehe auf das Bildungsprogramm in Polen, wo digitale Schulbücher in allen Fächern entwickelt werden etc. Bei uns aber glauben manche Diskutanten alles gesagt zu haben, wenn sie sich über eine ruckelnde Skype-Verbindung lustig machen können. Gewollt oder ungewollt leistet man damit genau jenen Ressentiments Vorschub, die – nur etwas plumper – mit dem Gerede von der “digitalen Demenz” (M. Spitzer) bedient werden.
Unausgesprochene Scheinargumente: die Verklärung der analogen Schule
Überdies: Ist denn die analoge Schule das Nonplusultra? Ist die Kompetenzorientierung analog erfolgreich? Kann die analoge Schule die Herausforderungen der Inklusion ohne technischen Fortschritt bewältigen? Ermöglichen wir denn den Erwerb “intelligenten Wissens” (F. E. Weinert), wenn wir darauf beharren, dass sich nichts ändern muss? Bekommen wir in der analogen Schule tatsächlich umfassend gebildete, kritikfähige, ergebnisorientierte, sozialkompetente, selbstorganisierte Leute, die Verantwortung tragen wollen und können? Mit solchen Fragen sind doch ganz schnell die Lebenslügen des bisherigen Schulsystems markiert. Sei’s drum! In diesem Land haben die Verwalter das Sagen, diejenigen, für die Bildung etwas Statisches ist, diejenigen, die ihre ‘Bildung’ mit jenem gymnasialen Dünkel verteidigen wollen, mit dem sie sich schon seinerzeit, beim eigenen Schulbesuch in der ‘Anstalt’, so wohlig vom Rest der Welt abgehoben haben. Das Resultat ist eine Stimmung des Stillstands, der Angst vor dem Neuen und der unqualifizierten Abwehr guter Ideen: Wir wollen um nichts in der Welt etwas ändern am frontal geführten Klassenverband, der in isolierten Räumen hockt, mit Tafel und Kreide hantiert, durch Fetzenstundenpläne gehetzt wird und den Normierungsvorstellungen des Industriezeitalters unterliegt.
Der Beitrag von Herrn Füller arbeitet an all diesen Themen nicht. Er ist lediglich selbstgerecht, unfair und verantwortungslos!
Lieber Marcus
Danke für diesen Beitrag. Interessant auch Dein Satz:
“Man sehe auf das Bildungsprogramm in Polen, wo digitale Schulbücher in allen Fächern entwickelt werden etc. ”
Da denke ich müssen wir auch die norwegischen und englischen Forschungsresultate berücksichtigen. Diese sagen aus, dass Kinder weniger gut lernen (Prüfungsresultate) wenn sie die Infos auf dem iPad oder PC lesen verglichen mit dem Buch.
Ich finde Digitalisierung wichtig. Aber dann hätte ich gerne wenn die Schüler vielleicht lernen würden eine App zu programmieren. Ob sie besser schreiben lernen oder aber die Materie wie Mathematik dank e-Buch auf dem iPad besser verstehen? Die Forschung sagt hier nein.
Aber etwas Programmieren hilft mehr langfrisitg, als nur gute Slides auf Powerpoint erstellen zu können.
Dank
Urs
Lieber Marcus,
vielen Dank für den Beitrag. Bildung ist mir wirklich eine Herzensangelegenheit. Auch beruflich habe ich hier ab und zu damit zu tun (indirekt durch Verlage) und ich doziere selbst an einer Uni.
Ich habe nur immer mehr ein Gefühl: Egal wie motiviert und ambitioniert hier Lehrer, Institutionen, Ministerien, usw. sein werden (und ich kenne einige und habe den größten Respekt vor Ihnen), ich bin davon überzeugt, dass man hier längst auf verlorenem Posten steht. In der heutigen Zeit, mit all ihren sich sooo rasch ändernden Rahmenbedingungen und Anforderungen, wird unser aktuelles System (zentral erstellte Lehrpläne, Prüfung, Zulassung, usw.) jemals mit der Realität ’schritt halten’ können.
Natürlich habe ich keine (in unseren Breitengraden realistisch umsetzbare) Lösung dafür im Kopf. Nur an Boden aufholen werden wir wohl, mit diesem System, nie mehr.
Ich bin hier zu 100% deiner Meinung wenn es darum geht am aktuellen System zu arbeiten. Aber es ist das aktuelle System, dass das Problem ist. Am Ende wird jeder noch so geniale Ansatz in die beschränkten Rahmenbedingungen des aktuellen Systems gezwängt und verliert dadurch den Großteil seines Potentials.
Nichts desto trotz.…man muss ja weiter machen 🙂 Chapeau!
Lieber Roman,
in Schillers Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen gibt es das schöne Bild des unter vollen Segeln stehenden Schiffes auf offenem Meer, das wir in voller Fahrt umbauen müssen. Aufstecken ist keine Option. Übrigens ist unsere Erfahrung, dass viele Kollegen vor Ort schon an vielen neuen Herangehensweisen arbeiten. Es kann funktionieren, mit solchen Leuten im engen Kontakt und gut vernetzt vor Ort zu arbeiten.
An Systemfragen, die immer auch mit Verwaltungs- und politischen Fragen zu tun haben, müssen wir alle in konzentrierter, offener und sachzugewandter Sprache arbeiten, gerade auch öffentlich. Schule muss dabei selbst zur Sprache kommen. Es reden zu viele Leute über Schule statt mit Schule.
Lieber Marcus, danke für dein Feedback.
Ja, Aufstecken ist keine Option!
Ja, viele Kollegen arbeiten an neuen Herangehensweisen!
Alles keine Frage, dennoch bezweifle ich das jemals, solch ein politisch und verwaltungstechnisch aufwändiges System wieder up to date Bildung (über Grundwissen hinaus) liefern kann.
Ja, es reden zu viele Leute über Schule statt mit Schule. Daher doziere ich auch. Aber das volle Potential kann ich innerhalb der mir gegebenen Rahmenbedingungen des Systems nie voll entfalten. Sogar wenn die Schulleitung selbst alles zulässt. Das System tut es nicht und kann es auch nicht.
Glaube ich bisher jedenfalls. Vielleicht straft mich die Zukunft ja lügen. Wäre GEIL!
Lieber Marcus,
ich kann diesem Artikel nichts hinzufügen außer vielleicht: Applaus.
Was wir jetzt brauchen sind mutige Lehrer und Lehrerinnen, die ihre Vorbildfunktion ernstnehmen und sich der Digitalisierung stellen — im Dialog mit ihren Schülern und Schülerinnen. Vorbilder, die mit ihrer Motivation und ihrer Leidenschaft Kollegen und Kolleginnen anstecken können und das Feld quasi von unten aufrollen. Ich glaube nicht an staatlich verordnete Programme und Projekte, da hier oftmals am Schulalltag vorbeigeplant wird. Wie du bereits erwähnt hast: mit der Schule statt über die Schule sprechen.
Danke für den Artikel!
sg herr ventzke,
merci für ihre schmissigen beitrag, aber das war wohl nicht die antwort auf meinen text gewesen sein. wenn doch, sollen sie gelgentlich noch einmal nachlesen, was in meinem beitrat eigentlich steht: ja, es ist richtig, die schulen durch einführen digitalen lernens via tablets, apps, wikis etc für das 21. jhd fit zu machen. ja, das lernen2.0 schafft exzellente möglichkeiten des kooperativen und individuellen lernens. ich liefere sogar beispiele wie das lernlab, das ich zusammen mit jens großpietsch, jasmin gülland, andre spang, torsten larbig, renee scheppler u.a. veranstaltet habe und bei dem die besten tabletlehrer im praxistest mit tablets etc arbeiteten. mein thema war also nicht, das lernen2.0 zu verhindern und das analoge lernen zu loben, sondern dieses hier: “Es geht [mir], erstens, um den Ton, den Frau Esken anschlägt. Und zweitens nochmal um den Ton der Abgeordneten.” es wundert mich freilich nicht, dass sie das überlesen haben — sie sind ja partei, genau wie martin lindner wie viele andere, die sich in dieser debatte zu wort melden. ihr job ist es, das digitale lernen zu loben und zu preisen, es möglichst schnell einzuführen. sie werden quasi dafür bezahlt, die unübersehbaren probleme, die es dabei gibt, geflissentlich zu übersehen. mein job als journalist ist es, diesen prozess kritisch zu begleiten, und deswegen herr ventzke verwende ich möglichst wenig zeit mit dem lesen kritikloser propaganda-texte, sondern halte mich in schulen und im unterricht auf, um zu sehen, ob und wie digitales lernen funktionieren kann. sollten sie auch machen. ist total interessant! sehen sie chancen und nebenwirkungen und wissen hinter besser bescheid.
herzliche grüße an die katholische uni eichstätt
beste grüße
christian füller
Ich muss vorausschicken, dass ich selbst 20 Jahre lang mit dem Computer in der Schule unterrichtet habe, davon über 10 Jahre ausschließlich mit dem Computer, und das an einem stinknormalen deutschen Gymnasium, dessen Schulleitung und Kollegium in der großen Mehrheit mit Computern mehr oder weniger nix am Hut hatte, oft genug im Gegenteil. Ich selbst habe das erste digitale Schulbuch für Geschichte im deutschsprachigen Raum entwickelt. Es heißt “GESCHICHTE AlS DENKFACH – Das digitale Lehrbuch des Geschichtszentrums”.
http://www.geschichtszentrum-shop.com.de/epages/64720669.mobile/?ObjectPath=/Shops/64720669
Mir braucht also keiner etwas über die Notwendigkeit der Digitalisierung zu erzählen.
Jetzt stoße ich auf den Artikel “DIE GEFÄHRLICHE EKSTASE DER REALITÄTSVERWEIGERUNG – EINE POLEMIK” von Marcus Ventzke und lese folgende Sätze:
“Bekommen wir in der analogen Schule tatsächlich umfassend gebildete, kritikfähige, ergebnisorientierte, sozialkompetente, selbstorganisierte Leute, die Verantwortung tragen wollen und können? Mit solchen Fragen sind doch ganz schnell die Lebenslügen des bisherigen Schulsystems markiert. Sei’s drum! In diesem Land haben die Verwalter das Sagen, diejenigen, für die Bildung etwas Statisches ist, diejenigen, die ihre ‘Bildung’ mit jenem gymnasialen Dünkel verteidigen wollen, mit dem sie sich schon seinerzeit, beim eigenen Schulbesuch in der ‘Anstalt’, so wohlig vom Rest der Welt abgehoben haben. Das Resultat ist eine Stimmung des Stillstands, der Angst vor dem Neuen und der unqualifizierten Abwehr guter Ideen: Wir wollen um nichts in der Welt etwas ändern am frontal geführten Klassenverband, der in isolierten Räumen hockt, mit Tafel und Kreide hantiert, durch Fetzenstundenpläne gehetzt wird und den Normierungsvorstellungen des Industriezeitalters unterliegt.”
Da ist er wieder, der Popanz von der deutschen Schule mit dem frontal geführten Klassenverband, der mit Tafel und Kreide hantiert, etc. pp., die weder umfassend gebildete, kritikfähige, ergebnisorientierte, sozialkompetente, noch selbstorganisierte Leute, die Verantwortung tragen wollen und können?
Mir scheint, dieses Zerrbild der aktuellen Schule ist die Lebenslüge all der euphorischen digitalen Aktivisten im Stile von Marcus Ventzke, und die beherrschen das Feld im Internet leider total, meines Erachtens sehr zum Schaden der digitalen Sache.
Warum soll die aktuelle Schule keine umfassend gebildeten, kritikfähigen, ergebnisorientierte, sozialkompetenten, selbstorganisierten Leute, die Verantwortung tragen wollen, hervorbringen können? Ich kenne Leute, die SOL (Selbst Organisiertes Lernen) seit über 15 Jahren mit Erfolg praktizieren, und zwar ohne Computer.
Solche Kollegen werden erfolgreich verkrätzt, wenn man ihnen mit dem schulischen Zerrbild der Digitalpropheten kommt. Und nicht nur diese, sondern auch viele andere Kolleginnen und Kollegen, die gute Arbeit auch ohne Computer leisten.
Der Punkt ist nämlich nicht, dass ohne Computer nichts oder nichts mehr geht, sondern dass MIT Computer alles genauso gut, aber vieles entschieden besser und manches überhaupt erst geht. Wer in der Schule digitale Veränderung will, sollte diese Botschaft rüberbringen, statt die Lehrer und Lehrerinnen herabzusetzen und als blöd hinzustellen.
Statt Lehrerschelte und Schulschelte sollten veränderungswillige Kolleginnen und Kollegen in den Stand gesetzt werden, individuelle Veränderungen durchzuführen. Die Möglichkeiten hierzu laufen meiner Meinung nach über WLAN (in wenigen Jahren auch über verbreitete Billigtarife), über Cloudcomputing, über strikte Verwendung von Standardprogrammen und Standardformaten, über die Bereitstellung digitaler Materialen und über die Umgehung veralteter Strukturen via Internet, um einige grundlegende Faktoren zu nennen.
Sehr geehrter Herr Füller,
vielen Dank für Ihre Antwort, über deren Inhalte und Wirkungen ich nur positiv denken kann. Die Schmissigkeit hat mich ein wenig schmunzeln lassen, ich nehme diese Charakterisierung aber mal als Kompliment. Tatsächlich sehe ich in den öffentlichen Wortmeldungen mitunter eine unfaire ‘Kampfordnung’: Viele selbstberufene Experten reden zum Thema Schulbildung, kaum einer mag sich aber in die ‘Niederungen’ alltäglicher schulischer Arbeit begeben. Und so wird zu oft über Schulen gesprochen. Reden wir mit Schulen!
Ich habe den Tenor Ihres Beitrags aufgegriffen und der ist mir eben zu ablehnend. “Schleppenträger” gibt es überall. Und Gefahren sind auch immer vorhanden. Das kann nicht ernsthaft Ihr zentrales Argument sein. Da ich Lehrer bin, können Sie davon ausgehen, dass ich die Probleme mit der digitalen Technik in Schulen — wie auch viele andere Probleme — sehr gut kenne. Und da sind wir eben am Punkt meines Einwurfs. Sie stellen die Sachverhalte so dar, als müssten gerade Schulen über die Probleme aufgeklärt und vor Gefahren gewarnt werden. Ich möchte hingegen darauf verweisen, dass Lehrer jeden Tag und oftmals unter verdammt schwierigen Umständen an vielen Problemen arbeiten, auch an denen mit der digitalen Technik. Versuchen Sie mal Unterricht zu machen, wenn 25 Schüler ihre angeschalteten Smartphones mit sich herumtragen. 🙂 Lehrer können solchen Problemen — im Gegensatz zu Leuten, die sich nur kursorisch mit dem hochkomplexen Organismus Schule befassen — nicht ausweichen. Die Gesellschaft hat sich ja doch angewöhnt, alle Probleme, denen sie ansonsten gern ausweicht, am Schultor abzugeben: Drogenmissbrauch, Sekten-Aufklärung, Autoaggressivität, sexuelle Selbstbestimmung, Konsumverhalten und die ständige Auseinandersetzung mit dem Internet und sozialen Netzwerken gehören doch jetzt schon zum — nicht zuletzt von Journalisten oftmals aufgeregt angemahnten — Tätigkeitsspektrum von Lehrern. Oder etwa nicht? Viele Schulen arbeiten auch intensiv an medienpädagogischen Konzepten, die die Benutzung bestimmter Internetangebote regulieren. Das lässt sich ja technisch machen. Unser Ansatz im Institut für digitales Lernen verfolgt die viel stärkere Verbindung allgemeiner medienpädagogischer Kompetenzen mit der fachlichen Arbeit. Das mBook ist in diesem Bereich schon jetzt als Erfolg zu bezeichnen, denn sein Einsatz hat auch Wirkungen auf Schulentwicklung und Schulkommunikation insgesamt. Schauen Sie mal nach NRW! Dort wird das mBook im Unterricht eingesetzt. Reden Sie viel mehr mit Lehrern vor Ort! Da gibt es viel zu entdecken. U.a. die Kollegen der Medienberatung NRW könnten Ihnen berichten. Und vielleicht würde es dann auch etwas schwerer fallen, das Thema digitales Lernen einfach durch einen Lobbyismus-Filter zu pressen, der am Ende alles darauf reduziert, dass auf der einen Seite die Industrie Geräte verkaufen will und Lehrer auf der anderen Seite ja ohnehin Trottel sind, die alles mitmachen. Nehmen Sie die vielen, hochinteressanten und innovativen Debatten auf, die im Beziehungsgeflecht von Lehrern, Weiterbildnern, Medienberatern und Schulverwaltungen stattfinden! Das würde Sie vielleicht davon überzeugen, dass die Vorstellung schlicht falsch ist, wir könnten in den Schulen als Mitarbeiter des Instituts für digitales Lernen oder der Universität einfach so auftauchen, digitales Lernen “loben” und “preisen”, mit einem Tablet winken und alle Kollegen damit in Ekstase versetzen.
Und wenn Frau Esken bei Ihnen wirklich zu Wort käme, dann könnten Sie sicher auch von ihr den Satz hören, dass Technik allein nicht den Gewinn im Unterricht bringt. Die folglich also dringend gesuchten neuen Wege der Didaktik im digitalen Zeitalter müssen wir mit Geduld und Fantasie konzipieren und diskutieren — auch und gerade mit Kollegen, die skeptisch sind. Ich finde, von dieser Verantwortung können auch Sie sich nicht freisprechen. Eine kritische Haltung steht dazu nicht im Gegensatz.
Übrigens werde ich nicht für die Einführung der digitalen Technik bezahlt, sondern für Forschung. Und als Wissenschaftler und Lehrer ergreife ich Partei für guten Unterricht. Wollen Sie Anspielungen dieser Art bei jedem Kollegen vortragen, der sich für die Anschaffung eines bestimmten Schulbuchs entscheidet, der einen Overhead-Projektor kauft oder einen Vertrag mit einem Busunternehmen für die nächste Klassenfahrt schließt?
Fazit: Ich möchte ausdrücklich, dass Sie Entwicklungen kritisch begleiten und warte gespannt darauf!
Ich grüße Sie herzlich vom Institut für digitales Lernen und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt! Übrigens bin ich evangelisch-lutherisch. Frau Taddiken in der Leipziger Thomaskirche ist meine Pastorin. 🙂
Ihr
Marcus Ventzke
Hallo Herr Currlin,
da haben Sie mich missverstanden. Ich möchte Lehrer eben gerade gegen eine unqualifizierte Schelte in Schutz nehmen. Und guten Unterricht kann man natürlich auch mit Kreide und Wandtafel machen. Wir sind uns einig, dass es auf die Verbindung von didaktischem Konzept, Inhalt und gezielt eingesetzter Technik ankommt. In diesem Sinne: weiterkämpfen! Dazu gehört auch immer ein bisschen Euphorie, finde ich. 🙂
Hallo Marcus,
danke für Deine noch sehr zarten Worte für den Zustand unseres Landes.
Der Lobbyismus regiert. Das profitorientierte Denken ist mit G8 und dem verschulten Studieren richtig auf die Nase gefallen; der Breitbandausbau redet von 2030; die Mobilbranche nennt 500 MB eine Flatrate (woanders sind das 50 GB); der kleine Mann zahlt in die Krankenkasse ein, solidarisch, während Ärzte, Rechtsanwälte usw. eigene, wohlbehütete Systeme haben; Inklusion soll es zum Nulltarif geben; die Industrie 4.0 braucht sowieso nur noch die wenigsten von uns, jedenfalls nicht den ehemaligen Hauptschüler und “drunter.” Wenn wir als Gesellschaft existent bleiben wollen, brauchen wir eine andere Ausrichtung. Ganz besonders in der Schule. Dänemark bekommt das z. B. hin. VUC SYD, eine neue Schule in Harderslev (http://www.youtube.com/watch?v=K8IntVvZgLA).
LG Friedel Koch