Unser Autor Jonathan Ventzke spricht darüber, wie seine Erfahrungen während eines Aufenthalts in Sarajevo seine Arbeit am Kapitel zum Jugoslawienkrieg beeinflusst haben und mit welchem Ansatz er Schüler:innen zu einer empathischen Auseinandersetzung mit den Themen Krieg, Flucht und Vertreibung bewegen möchte.

Wie lautet das Thema, das du bearbeitet hast?

Ich habe die beiden Kapitel ‘Schicksal der Deutschen in Jugoslawien und Rumänien’ (4.8) und ‘„Ethische Säuberungen“ während der Balkankriege in den 1990er Jahren’ (8.1) geschrieben.

 

Wie bist du an das Thema herangegangen?

Die Entstehung vor allem des Kapitels zum Jugoslawienkrieg begann für mich bereits vor der Absicht, im Rahmen des BdV-Projektes über Flucht und Vertreibung zu schreiben. Während eines Praktikums am Historischen Museum Bosnien und Herzegowinas in Sarajevo wurde mir durch die Arbeit am Museum – aber besonders im Alltag – bewusst, wie tief eine Gesellschaft anhand unterschiedlicher erinnerungspolitischer Erzählungen gespalten sein kann. Nicht nur die grausamen Folgen von ethnischen Säuberungen, sondern vor allem der gegenwärtige Umgang mit diesen Erinnerungen hat mich bewegt.

Für mich war daher von Beginn an wichtig, in meinen Kapiteln den Leser:innen etwas von dieser Erfahrung mitzugeben. Mir war bewusst, dass die Themen Südosteuropa sowie Flucht und Vertreibung im Unterricht nicht zwangsläufig auf Begeisterung treffen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich in der Schulzeit kaum Anknüpfungspunkte zu diesen Bereichen entwickeln konnte. Daher habe ich mich bei der Entstehung der Kapitel gefragt, was und vor allem warum mich diese Themen bei meinem Aufenthalt bewegt haben. Diese Fragen entwickelten sich zum roten Faden innerhalb der Kapitel.

Gleichzeitig habe ich mich auf Quellensuche begeben – Interviews, Texte, Dokumentationen, Bilder, Karten, Audiomitschnitte und Memes. Die Auswahl an Material hat ein erstes Gefühl für die Struktur des Kapitels erzeugt. Besonders hervorheben möchte ich dabei die Kooperation mit dem Historischen Museum in Sarajevo, die mir den Zugang zu ihrem Fotoarchiv ermöglichte.

 

Schildere eine besondere Stelle/die Stelle, die dir besonders wichtig war.

Besonders wichtig war mir innerhalb der Kapitel nicht nur über Entscheidungen von Männern an Schreibtischen zu sprechen, sondern andere Perspektiven einzunehmen – andere Geschichten zu erzählen. Wie fühlt sich ein Alltag an, in dem der Beschuss durch Scharfschützen zum Einkauf dazugehört? Was macht es mit Kindern, in Kellern Matheunterricht zu bekommen? Wie haben sich die jungen UN-Soldat:innen gefühlt, als sie auf einmal vor bewaffneten serbischen Soldaten:innen standen?

Im Abschnitt „Krieg wird zum Alltag“ habe ich versucht diese Aspekte aufzugreifen und sichtbar zu machen; Menschen, die Lebensmittel mit Einkaufstaschen durch Schützengräben tragen, Kinder, für die das Rennen zwischen Häuserschluchten zur Mutprobe wird, weil sie dabei das Ziel von Scharfschützen werden. Vor allem vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges glaube ich, dass solche Einblicke in den Alltag des Krieges nicht nur historisches Verständnis, sondern auch Einfühlungsvermögen und Empathie vermitteln.

 

Was ist dir schwer, was ist dir leicht gefallen?

Der Umgang mit persönlichen Erfahrungen hat sich im Schreibprozess als die größte Herausforderung herausgestellt. Einerseits war es eine Bereicherung, da ich vergangene Ereignisse nicht nur aus einem Text oder Beitrag kannte, sondern aus den persönlichen Erzählungen von Menschen vor Ort. So wusste ich beispielsweise früh, an welchen Stellen ich meine Schwerpunkte setzen wollte und welche Geschichten ich erzählen will.

Gleichzeitig musste ich mich an vielen Stellen auch von diesen persönlichen Einblicken lösen. Um eine verständliche Erzählung zu erhalten, mussten komplexe Ursachen auf ihre wesentliche Auswirkungen reduziert werden. In der Folge abzuwägen zwischen Perspektiven, die aufgrund der persönlichen Nähe alle ‚erzählenswert‘ erschienen, war insbesondere zu Beginn herausfordernd.

Wie war die Arbeit im Team?

Ich habe die Arbeit im Team als sehr anregend und bereichernd wahrgenommen. Von der Vielfalt an fachlichen Hintergründen und generationsbedingten Herangehensweisen hat nicht nur das BdV-Projekt profitiert, sondern auch ich konnte mich in dem Arbeitsprozess weiterentwickeln.

Als jüngster Mitautor konnte ich von den Erfahrungen der Autor:innen besonders im Bereich der Didaktik profitieren. Gleichzeitig hatte ich die Möglichkeit, eigene Impulse zu setzen, die stets offen und wertschätzend aufgenommen wurden. Bei den zum Teil fordernden Inhalte hat mir stets Lukas Epperlein zur Seite gestanden und für die nötige Klarheit gesorgt.

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